Samstag, 25. Juni 2011

Freier Vortrag? Nein, danke!

Dieses Sommersemester habe ich einen Kurs aus einem anderen Fach gewählt, in dem es um die Geschichte und die künstlerischen Aspekte von Comics und Graphic Novels gehen sollte.
Ich bin kein großen Fan von Comics und hatte bis dato auch keine Ahnung, was Graphic Novels sind, aber ich dachte mir, es wäre an der Zeit, meinen Horizont auch in der Richtung zu erweitern.

Was ich in der ersten Stunde vorfand, ließ mich allerdings darüber nachdenken, ob ich an dem Kurs wirklich teilnehmen sollte. Denn es war voll. Richtig, richtig voll! Das war an sich keine Überraschung, die Uni Köln ist geradezu dafür bekannt, überlaufen zu sein. Der Zustand war in diesem Raum allerdings folgender: etwa 10 mittelgroße Tische, etwa das 3-fache davon an Stühlen und gefühlte hundert Personen, die versuchten, in dem Raum einen Platz zu finden. Ganz ehrlich: was sollte das? Wie kommt man auf die Idee, bei einer Anzahl von über hundert Bewerbern einen solch kleinen Raum zu wählen? Die Antwort darauf ist: gar nicht. Die Wahrheit hinter dem Chaos ist eine viel schlimmere.

Denn das Ganze funktioniert in die andere Richtung. Ein Kurs bekommt einen Raum. Für einen Kurs kann man sich bewerben. Man kann die Anzahl der zuzulassenden Plätze begrenzen. Die Anzahl der zuzulassenden Studenten sollte die Platzzahl nicht um mehr als einige wenige Plätze übersteigen und das auch nur, falls einige sich entscheiden, doch nicht zu erscheinen.
Wie muss man allerdings rechnen, wenn man zu einem Kurs, dessen zugeordneter Raum ca. 30 Plätze bietet, etwa 100 Studenten zulässt? Wieso tut man so etwas? Um nachher zu sagen: "Alle, die diesen Schein nicht brauchen, gehen jetzt bitte."?

Einige gingen. Und in den folgenden Stunden gingen noch mehr. Aber das sollte erst der Anfang sein.

Meine Erwartungen an die Uni waren recht niedrig angesetzt, denn ich wurde gewarnt: man geht nicht zur Uni, um zu lernen - man geht zur Uni, um einen Abschluss zu bekommen. Lernen musst Du woanders, als im Hörsaal. Dies trifft sicherlich nicht auf jeden Studiengang und auch nicht auf jedes Fach zu, dennoch nahm ich mir diese Warnung zu Herzen. Ich war vorbereitet. Ich hatte einen Plan: Ich wähle das, was ich studieren will, gehe zur Uni, bekomme einiges beigebracht, anderes nicht, muss mir das andere irgendwie anderweitig aneignen und komme so, über den sonnigen oder den steinigen Weg zu guter letzt zu einem Abschluss.
Unter den Sachen, die ich hoffte, beigebracht zu bekommen, war unter anderem die Fähigkeit zum freien Vortrag. Schon in der Schule sagte man uns: "Das müsst ihr können! In der Uni werdet ihr nicht einfach ablesen dürfen!" Gesagt - getan. Freie Vorträge zu halten ist mir, Gott sei Dank, nie sonderlich schwer gefallen. Anderen allerdings schon und die hatten damit wirklich zu kämpfen. Und das nur, weil das angeblich so wichtig ist!

Aber man sieht es doch auch im Fernsehen: Moderatoren lesen ab, zitieren offensichtlich auswendig Gelerntes, und auswendig lernen und schlecht wiedergeben scheint ja auch für eine, zugegeben recht bescheidene und in der Gesellschaft eher geduldete, Schauspielerkarriere zu reichen. Selbst Politiker, die doch unsere Meinung vertreten sollen und zwar mit ihrer Meinung lassen sich Reden schreiben und lesen sie ab!

Und in der Uni, so durfte ich herausfinden, lernt man häufig nichts anderes.

Denn während in anderen Fächern der freie Vortrag Teil der Note ist, war im Fach des Comic-Kurses wohl keinerlei Bewertung des Vortragens vorgesehen.

Ich und meine Studienkollegin aus dem selben Fach waren die einzigen, die nicht abgelesen haben. Die einzigen! Alle anderen rezitierten lediglich den zuvor verfassten, unkreativen und wie aus einem Wikipediaartikel kopiert wirkenden Text und schauten, wenn überhaupt, lediglich von Zeit zu Zeit für einen Bruchteil der Sekunde ins Publikum. So, wie es auch die Profis im Fernsehen machen. Dieses kurze Anschauen vermittelt psychologisch gesehen nämlich den Eindruck, als würde jemand zu einem sprechen. Und das wiederum soll den Eindruck vermitteln, dass jemand frei spricht. Sollte. Tut es aber nicht.

Und so stellt sich mir die Frage: was lerne ich eigentlich? Ich lerne, dass Wissen offenbar nicht viel wert ist. Denn wer abliest, muss nicht zwangsläufig wissen. Auch wer auswendig Gelerntes zitiert, könnte theoretisch von dem, was er sagt, keine Ahnung haben. Aber wer frei über ein Thema erzählen kann, der muss zumindest ein bisschen Bescheid wissen. Und darum geht es doch schließlich an der Uni, oder?

Und während einige Fächer streng darauf achten, dass Wissen nicht nur vermittelt, sondern auch von Studenten erwartet wird, steht in anderen Veranstaltungen ein Professor, Dozent oder sonst jemand vorne am Pult, ein Blatt vor der Nase und liest dasselbe Skript, was er schon letztes Jahr gelesen hat. Und davor das Jahr. Und auch im Jahr davor.

Freie Rede? Nein, danke! sagt ein Teil der Uni. Ja, bitte! sage ich. Denn worum es letztendlich im Beruf gehen wird, ist Wissen. Und wer in der Uni verpasst, genau dieses wie ein Schwamm aufzusaugen, sei es theoretisches oder praktisches, der wird einem wahren Kenner seines Faches bestimmt nicht vorgezogen.

Ich bin für einen (Universitäts-)Staat mit freier Rede!

Und ihr?

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