Und während ich so darüber nachdachte, fiel mir die Rede von Lutz Urbach, dem Bürgermeister von Bergisch Gladbach, ein, der ich bei einem Abiball, zu dem ich letztes Wochenende eingeladen war, lauschen durfte. So ganz ohne anstehende Wahlen lassen sich den Politikern scheinbar auch mal richtig emotionale Worte entlocken.
Wer fleißig lernt und immer gut aufpasst, sollte mit dem Abitur keine allzu großen Schwierigkeiten haben. Aber nicht jeder, der Schwierigkeiten hat, ist deswegen gleich dumm. Es sind gerade die Fähigkeiten, die man in der Schule häufig nicht von Lehrern gelehrt bekommt, die darüber entscheiden, wie gut man sich anstellt. Es fängt bei Dingen wie Pünktlichkeit an. Wer andauernd zu spät kommt, hat zum Schulgang offensichtlich eine gewisse Einstellung. Der muss man auf den Grund gehen und an ihr arbeiten - anstatt den Schüler bloß pausenlos zu ermahnen und den Eltern Briefe zu schreiben. So etwas geht zu oft nach hinten los. Wer es versäumt zu lernen, sich seine Zeit gut aufzuteilen, bekommt später nicht nur Probleme mit dem Zeitmanagement, sondern fällt im Unterricht deswegen auch immer weiter zurück, sodass selbst Schüler, die lernen wollen, es einfach nicht schaffen. Und dann gibt es noch die, die eigentlich alles können, denen aber die Aufregung vor Prüfungen so zu schaffen macht, dass sie trotz eines großen Wissenspools eine schlechte Note bekommen. Im schlimmsten Fall verlieren diese Schüler die Hoffnung und vernachlässigen sich selbst. Vielleicht hatte man auch einfach mal einen schlechten Tag und der ganze Schnitt ist hin. Und wer es tatsächlich in die Oberstufe schafft, muss nicht nur die umfangreichen Inhalte in sich aufsaugen, sondern auch noch all die Kleinigkeiten aufarbeiten, die er versäumt hat. Und daran scheitern wohl die meisten. Und das Abi zu schaffen, ist heute noch lange keine Garantie für irgendetwas.
Lutz Urbach sprach in seiner Rede die Abiturienten mit einer zunächst positiven Message an: es sei egal, welche Zahlen vor und hinterm Komma stünden, viel wichtiger seien die Softskills, die Persönlichkeiten - und die Abiturienten könnten mächtig stolz auf sich sein. An sich sind dies wirklich weise Worte, denn natürlich kommt es auf den Menschen an und auf das, was er tatsächlich leisten kann. Noten alleine sagen oftmals nur wenig über Charakter und wichtige Qualifikationen aus. Dennoch ist diese Aussage ziemlich utopisch. Denn in der heutigen Welt hat niemand Zeit, Charakter und Fähigkeiten eines Einzelnen zu begutachten. Viel schneller funktioniert eine Auslese nach Noten, die mit einer 1 vorne sind besser, als die mit einer 2 und die wiederum besser, als die mit einer 3 usw. Und so funktioniert es doch fast immer: will man studieren werden die Noten verglichen. Dabei ist ein Schüler mit einem Durchschnitt von 1,2, dem wahrscheinlich auch nur auf Grund dessen eingeredet wird, es solle Arzt werden, für diesen Beruf nicht zwangsläufig minder geeignet, als jemand mit einem Durchschnitt von 2,8, der in Biologie und Chemie Klassenbester war, alles für diese Fächer gegeben hat, aber an den restlichen Fächern eben nur mäßig interessiert war. Wieso bekommt also der mit der 1,2 die Chance, Medizin zu studieren, während jemandem mit einer 2,8 eigentlich nur die Möglichkeit bleibt, jahrelang auf einen Studienplatz zu warten? Ist das fair?
Und am Ende sitzt man im Wartezimmer eines Arztes, der den Beruf nur ergriffen hat, weil er es konnte und eigentlich überhaupt kein Interesse an Patienten hat. Ist mir oft genug passiert. Wieso kann dort nicht jemand sitzen, der für diesen Beruf alles hergeben würde und vielleicht der beste Arzt wäre, zu dem man nur gehen kann? Etwa nur, weil man sich als Staat bzw. Bundesland zu schade ist, etwas mehr Zeit und Geld zu investieren, um ein gutes Gesundheitssystem zu sichern? Ist das fair?
Und genauso sieht es mit Lehrern aus. Man klangt über zu wenig männliche Grundschullehrer, einen NC für Grundschullehramt gibt es aber dennoch und keiner Uni (meines Wissens) fällt ein, diesen mit Rahmenbedingungen auszuschmücken, die z. B. eine Männerquote vorsehen, bei denen der NC weniger bis gar nicht berücksichtigt wird. Ist das fair?
Und wie sieht es mit all den unfähigen und überforderten Lehrern aus, die sich an anderen Schulen tummeln? Man wird verbeamtet, das ist eine klasse Sache, und man hat vielleicht den nötigen Durchschnitt, um eines der gefragteren Fächer zu studieren. Doch wie viele der Lehramtanwärter sind wirklich geeignet? Will ich meine Kinder wirklich von Menschen unterrichten lassen, die mit ihrem Beruf unzufrieden, pädagogisch gesehen völlige Versager und vielleicht sogar in ihrem eigenen Fach absolut inkompetent sind? Eher nicht. Dennoch kommen genau diese Leute in die Unis. Wieso? Weil sie in der Schule ganz gut waren und sich dachten, mit Lehramt könne man nichts falsch machen. Und oftmals sind es genau die, wegen denen so viele Schüler ein schlechtes Abitur bekommen oder es gar nicht erst schaffen. Ist das fair?
Es ist natürlich schön zu denken, dass es im Leben eben doch auf die inneren Werte ankommt. Und dennoch: was in Wahrheit zählt, ist eben nur das äußere Erscheinungsbild: in Form von Kleidung, in Form von Noten, in Form von Sprache und auch in Form von Herkunft. Niemand kann behaupten, dass er noch nie jemanden jemandem anders vorgezogen hat, wegen irgendwelcher äußeren Faktoren. Und sei es nur, dass man lieber zu der schlankeren Kassiererin möchte oder das Kind lieber tätschelt, das keinen Dreck in den Haaren hat.
Also, lieber Herr Urbach: ihre wirklich rührende Rede hat leider keinerlei Gehalt, wenn die Welt nicht so funktioniert, wie sie es darstellen. Ja, der Mensch ist mehr, als seine Noten. Ja, der Mensch ist mehr, als sein Erscheinungsbild. Und ja, das ist leider noch viel zu vielen Menschen s****ßegal.
Sollte es nun also eine Hauptschule geben oder nicht? Ich denke nicht, dass dieses traditionelle System noch notwendig oder überhaupt praktizierbar ist. Denn wo früher jedem Abschluss eine sichere Ausbildung folgte, wollen Arbeitgeber heute möglichst die Besten. Während einem Tischler in seiner Ausbildung früher alles nötige Wissen eingeflößt werden sollte, erwartet man heute, dass sie alles schon wissen, wenn sie die Ausbildung antreten. Arbeitskräfte sollen sie sein, keine Auszubildenden. Geld will man sparen - Auszubildende sollen leisten, was andere zum Beruf haben - an Ausbildung denkt bei weitem nicht jeder Arbeitgeber. Und was ist besser als "auszubildende" Arbeitskraft, als ein Abiturient, der alles wichtige schon gelernt hat? Abitur für eine Ausbildung? Früher hätte man darüber gelacht, heute sehen das viele Arbeitgeber als notwendig an. Welchen Stellenwert hat also das Abitur, wenn es möglichst alle haben sollten? Und folglich: wieso bekommen dann nicht wirklich alle die Chance, ihr Abitur zu machen, wo man ohne doch nur schwer überhaupt etwas im Leben erreichen kann?
Für mich ist die Sache ganz klar: wie brauchen keine Hauptschulen mehr. Selbst Realschulen sind überflüssig. Auch das "elitäre" Gymnasium ist schon lange nicht mehr Heim der Genies und Denker des Landes.
Wieso spricht man beim Atomausstieg von Planwirtschaft, bemerkt aber nicht, dass in der Bildung schon lange keine Gleichberechtigung für irgendjemanden herrscht? Oder will man es nicht bemerken? Sind Wahl- und Machtkämpfe denn wirklich alles, was zählt? Wer soll denn dann später die nun wieder gestiegenen Honorare der guten, alten (vor allem) Politiker zahlen?
Also tun Sie doch etwas, Herr Urbach, die Damen und Herren Politiker, die auf die stagnierende Situation in der Bildung Einfluss haben. Die Entwicklung will ja her, sie sitzt sogar direkt vor Eurer Nase, aber Ihr schaut einfach weg. Ihr seid die Politik, das Sprachrohr des Volkes, die Verantwortlichen für das, was im Staate Deutschland vorgeht. Legt Eure Waffen nieder, lasst die Kämpfe ruhen, schaut Eurem Gegner ins Gesicht und seht, dass sie in Wahrheit Eure Verbündeten sind. Und tut endlich etwas.
Denn fair ist das ganz und gar nicht.
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