Mittwoch, 29. Juni 2011

Warum ich keine Journalistin werden will

Als ich kleiner war, haben mir immer alle gesagt, ich solle Lehrerin oder Journalistin werden. Weil ich so viel redete. Und später würde ich sicher genauso viel schreiben. Und wenn ich mich ein wenig anstrengen würde, könnte ich vielleicht irgendwann richtig gut reden. Und schreiben. Vielleicht.

Und als Kind fand ich diese Idee super. Also fing ich an, zu schreiben. Mein Wissen war sehr begrenzt: eben auf das, was man als 8-jährige so weiß. Und das ist eigentlich noch nicht sehr viel. Und weil es so nicht viel gab, worüber ich schreiben konnte, brachte ich meine Fantasie mit ins Spiel. Und wenn man nicht gerade Romane schreibt, passt zu Fantasie nicht besser, als Gedichte. Also schrieb ich Gedichte. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und wenn ich die Gedichte heute sehe, ist es mir ein wenig peinlich, aber sie sind gar nicht so schlecht. Für eine 8-jährige.

Ich habe als Kind sogar oft davon erzählt, dass ich irgendwann einmal Journalistin werden würde. Zeitungen las ich nicht, aber Zeitschriften. Da war z. B. die unserer Krankenkasse. Viel verstand ich nicht, aber das lies ich mir nicht anmerken. Wenn ich gefragt wurde, improvisierte ich, erzählte, was mir zum Thema einfiel, riet geradezu drauf los. Und das erfolgreich! Man hielt mich tatsächlich für "gebildet" - oder ich war bloß naiv genug, das zu glauben. Aber eigentlich eine ziemlich gute Voraussetzung, wenn ich so darüber nachdenke. Und auch noch Jahre später bin ich recht stolz auf die Fähigkeit, mit 0 Ahnung zu einem Thema immer noch einen ausreichend guten Vortrag darüber halten zu können. Hätte ich die Wahl, würde ich damit aber lieber auf die Nase fallen, so, wie es sein sollte. Denn Motivation zu lernen bekommt man dadurch nicht.

Ich erinnere mich nicht mehr genau an die Situation, aber irgendwann gelang ich zum Entschluss, Journalistin sei doch nichts für mich. Der Grund? Journalisten lügen. Nicht alle. Nicht immer. Aber sie tun es. Woher ich das weiß?

Da war zum Beispiel dieser eine Wintertag. Es war einer der seltenen Winter, in denen viel Schnee fiel, der auch noch lange liegen blieb. Ich lief mit einer Freundin durch die sonst fast menschenleere Innenstadt, wir alberten herum, sprangen auf Bänke und lachten laut. Der nette Journalist muss uns schon von weitem gehört haben. Er kam recht zielstrebig auf uns zu und fragte, ob wir nicht Lust hätten, in die Zeitung zu kommen. "Naja..." sagten wir. "Wie denn?" Er bat uns, eine Schneeballschlacht zu inszenieren. Wir sollten ein wenig Schnee aufwirbeln, Bälle formen und uns damit bewerfen. Und ganz viel Spaß haben, natürlich. Und das taten wir auch. Es klang so verlockend und wir dachten nicht weiter darüber nach. Wieso hätten wir das auch nicht tun sollen? Einen gewissen Grad an Spaß hatten wir sogar. Auch, wenn Schneeballschlachten eigentlich eher nicht unser Ding waren.

Eine Woche später rief mich meine Mutter ins Wohnzimmer. Meine Patentante hatte ihr ein Zeitungsblatt mitgegeben, das sie mir unbedingt zeigen wollte. Denn ich war darauf zu sehen. Nicht als Mitglied eines Vereins, Teilnehmer an einem Theaterstück oder auch Autorin, wie das später mal der Fall war. Ich war "Statistin" in einem Foto mit einem titel, der so ähnlich lautete wie "Spaß im Schnee: Schneemänner und Schneeballschlachten". Ihr könnt Euch sicher vorstellen, dass ich das unglaublich cool fand. Ich nahm die Seite mit in die Schule und zeigte sie der Freundin, die mit auf dem Foto war. Und allen anderen Freundinnen. Und überhaupt allen, die plötzlich kamen und sehen wollten, was wir da hatten. Das war vielleicht ein Erlebnis!

Den Text zum Bild hatte ich mir erst Jahre später durchgelesen. Der Hype um das schöne Foto, auf dem wir gerade so zu erkennen waren, ging schnell vorüber und das Ereignis geriet in Vergessenheit. Ich weiß noch nicht einmal mehr, wie das Zeitungsblatt zurück nach Hause gelangte. Jedenfalls hatte meine Mutter es aufbewahrt. Und wie gesagt, Jahre später fanden wir es und ich las mir den Text durch. Ich las Sätze wie "Viele Kinder toben auf dem Marktplatz.", "Der Schnee macht allen sichtlich Spaß." oder "Mir flogen riesige Schneebälle entgegen.". Und so schön das auch klang, konnte ich mich an keines der Details erinnern. Vor meinen Augen sah ich den leeren Marktplatz, verlassene Bänke und mich, wie ich einer Freundin einen kleinen, lieblos zusammengematschten Schneeball zuwarf. Wahrscheinlich werdet Ihr lachen und das für wahnsinnig übertrieben halten. Ist es auch. Das war keine große Lüge, die die Weltgeschichte verändern würde. Sie tat auch niemandem weh. Sie war bloß das, was die Leser wahrscheinlich am liebsten gelesen hätten. So, wie man gerne Märchen liest. Wegen dem Happy End.

Aber dieser Moment gab mir den Anstoß über die Welt der Medien nach zu denken. Denn diese kleine Lüge war erst der Anfang. Die Berichterstattung nach dem 11. September 2001 widersprach sich alle paar Tage, die Medien änderten ihre Meinung alle paar Stunden. Beschuldigungen wurden mal den einen an den Kopf geworfen, dann wieder den anderen. Die Welt drehte völlig durch und mit ihr die Medien. Man wusste irgendwann einfach nicht mehr, was man eigentlich noch glauben sollte. Man zeigte Bilder aus dem Irak, Krieg, Zerstörung und jede Menge Tote. Man hatte das Gefühl, das ganze Land versank im Chaos. Ein Klassenkamerad aus dem Irak erzählte uns damals seine Version der Geschichte. Das, was wir im Fernsehen sahen, war nur ein Bruchteil des Landes. Der, aus dem medialen Blickwinkel gesprochen, "spektakuläre" Teil des Landes. Dort, wo er herkam, war es nicht viel anders, als bei uns. Die Menschen lebten in Frieden, die Geschäfte waren offen, man begrüßte sich freundlich, man verabschiedete sich. Ja, man las die Zeitungen. Und ja, man sah auch Fernsehen. Doch man lebte ganz normal weiter. So, wie auch wir nach einigen Tagen zu unserem Alltag zurückkehrten und nur noch ein bitterer Nachgeschmack der Bilder im Fernsehen blieb.

Wir waren nicht naiv. Wir hatten bloß keine anderen Quellen. Wenn man Dinge nur aus dem Fernsehen kennt, dann werden diese zu ihrer eigenen Realität. Sie existiert parallel zu unserer und verändert sich mit ihr. Wir können diese Realität anzweifeln, aber nicht ändern. Denn es ist nicht unsere Realität, sondern die der Medien. Besagter Klassenkamerad veränderte für uns diese Realität.

Seit ich die Initiative gegen Vorurteile gestartet habe, denke ich immer öfter darüber nach, welche Vorurteile ich habe, hatte und hätte haben können. Damals gab es Vorurteile. Man hielt den Irak für "böse". Aber nicht das Land oder die Menschen. Sondern dieses abstrakte Gebilde von Informationen, das wir mit dem Irak verbanden. Dann erfuhren wir, wie das Land und die Menschen dort wirklich sind. Und das abstrakte Gebilde konnte leicht vom Wort "Irak" abgetrennt werden. So ist es immer mit Vorurteilen. Die Informationen beziehen sich auf ein Wort, doch das Wort muss nicht zwangsläufig auch die Informationen bedeuten.

Von den Medien jedenfalls war ich enttäuscht. Es war ein tragisches Ereignis, aber die Medien nutzen es, um Stories zu schaffen. Nicht alle, versteht sich. Aber schon ein Medium ist eines zu viel.

Und so werde ich immer wieder stutzig, wenn ich Journalisten treffe. Natürlich können sie im Privatleben völlig andere Menschen sein. Sind sie wahrscheinlich sogar. Denn auch dieser Job ist schlussendlich nur ein Job. Doch ein flaues Gefühl bleibt mir jedes Mal. Denn wer weiß, vielleicht wird mein journalistischer Gegenüber irgendwann über mich berichten. Wie würde er mich darstellen? Objektiv? Subjektiv? Medial?

Während meines Aufenthaltes in Japan wurde mir noch viel deutlicher bewusst, wie sehr die Medien ein Bild verzerren können. Kaum etwas von all dem, was ich dort erlebte, habe ich zuvor im Fernsehen gesehen. Und kaum etwas von dem, was mir im Fernsehen erzählt wurde, habe ich genau so erlebt. Die Bilder entsprachen der Realität, aber die Informationen passten nicht zum Bild. Und anders herum hätten viele Informationen anders bebildert werden müssen.

Und so ist es immer mit den Medien: sie wittern die Spur einer großen Geschichte und hauchen ihr ein Leben ein, das oftmals gar nicht existiert. Es ist nicht immer so und darüber bin ich mehr als glücklich. Und es gibt gute Journalisten, keine Frage. Und von Zeit zu Zeit denke ich mir: willst du es nicht doch versuchen?

Doch jedes Mal, wenn ich daran denke, zeigen mir die Medien, dass ich es besser wissen sollte.

Heute in der Zeitung war ein Artikel über den Fall des ermordeten Mirco. Man führte auf, wie brutal der Mord war: erdrosselt hat der Mörder ihn und ihm in den Hals gestochen. Dabei sollte sich dem Leser doch glatt der Magen umdrehen. Wenn ich so etwas lese, wird mir meist etwas übel.
Doch ein kleines Stückchen weiter rechts, direkt neben dem Artikel über Mirco, war ein anderer Artikel. Ob er die schlechte Laune heben soll, vermag ich nicht zu beurteilen:

"Happy Feet will zurück ins Meer"

Das könnte man fast schon als Ironie bezeichnen. Wenn es nicht eigentlich mehr Sarkasmus wäre. Von so viel Feinfühligkeit wurde mir sogar noch schlechter.

Und so wurde mir auch heute wieder klar, wieso ich nicht Journalistin werden will.

Es ist zwar eigentlich nur ein Vorurteil, das sich nicht gegenüber allen Journalisten bewahrheitet, aber die Skepsis bleibt. Und was wäre ich für ein Mensch, wenn ich mir selbst gegenüber skeptisch sein müsste?

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