Sonntag, 12. Juni 2011

Die Ambivalenz der Filmindustrie

Mit kino.to wurde eines der bekanntesten Streamingportale für Filme gesperrt. Einige Drahtzieher wurden gefasst, nach anderen wird noch gefahndet. Soweit so gut.

Die Filmindustrie freut sich, die Justiz steht vor einer neuen Entscheidung: ist das Zwischenspeichern bei der Nutzung von Streamingdiensten nun illegal oder nicht. Die Filmindustrie sagt natürlich "ja", schließlich würde sich damit eine neue Geldquelle eröffnen: Millionen an Schadensersatz von Nutzern. Zwar würde jeder Nutzer nur eine kleine Summe, nämlich den Wert z.B. einer Film-DVD zahlen, die Summe an Usern würde daraus aber eine durchaus ansehnliche Summe machen. Anwälte hingegen plädieren als Antwort auf "nein", denn das temporäre Zwischenspeichern erstellt keinesfalls eine nutzbare Kopie der Datei. In diesem Fall wären keinerlei Schadensersatzzahlungen fällig.

Viel wichtiger ist, meiner Meinung nach, allerdings die Bekämpfung des Problems an der Wurzel. Um das Problem einmal genauer zu formulieren: Wie kann man verhindern, dass kriminelle Vereinigungen zur gewerbsmäßigen Begehung von Urheberrechtsverletzungen überhaupt bestehen können? Warum gibt es immer wieder Nutzer, die, wissentlich, diese illegalen Dienste in Anspruch nehmen und die Machenschaften somit unterstützen?

Zwar mag man Nutzern vorwerfen, sie schauten sich Filme im Netz nur deswegen gerne an, weil sie kostenlos sind. Dies ist sicherlich ein Aspekt, vielmehr aber, so denke ich, eine Art Symptom.
Jedem Nutzer ist bekannt, dass die Filme auf einer solchen Plattform auf illegalem Wege dort gelandet sind und ebenso illegal dort verweilen. Dennoch bin ich sicher, dass jeder Nutzer bei der Erstbenutzung einer illegalen Plattform (die nicht zwangsläufig kino.to sein muss) eine recht hoch angelegte Hemmschwelle hat. Diese sinkt mit jedem neuen Zugang immer weiter. Wenn nach der ersten Nutzung keine Konsequenzen folgen, sinkt in ihrer Sicht auch das Risiko, dass überhaupt Folgen entstehen können.
Vergleichen Sie dies mit einem Kind, dass im Kaufhaus versucht, seine Eltern zum Kauf eines Produkts seines Verlangens zu drängen. Greifen Mutter oder Vater nicht beim ersten Versuch durch und unterbinden jegliche Quengeleien, weiß das Kind, dass die Grenze noch nicht erreicht ist. Und mit jedem weiteren verpassten Durchgreifen, sinkt beim Kind die Hemmschwelle, immer mehr und mehr zu verlangen. Bis ein Durchgreifen irgendwann unmöglich scheint.

Doch was bewegt uns eigentlich, neben des offensichtlichen Vorteils der kostenfreien Nutzung, einen solchen, illegalen Dienst in Anspruch zu nehmen?

Zunächst wäre da der Aspekt der Bequemlichkeit.
Um auf legalem Weg auf den Genuss eines Films zu kommen, gibt es mehrere Möglichkeiten, die in jedem Fall mehr oder weniger, aber auf jeden Fall Aufwand bedeuten.
Da wäre zu aller nächst der Gang ins Kino. Aktuelle Filme sind in Deutschland meist erst nach einigen Wochen im Handel zu erwerben (in anderen Ländern ist dies anders), will man also einen sehen, kommt man nicht drum herum, sich ein Kino, einen freien Abend, das nötige Kleingeld und die Zeit für Hin- und Rückweg zusammen zu suchen. Es mag etwas übertrieben erscheinen, dennoch hier eine allgemeine Rechnung, um meine Aussage zu verdeutlichen:
Ein Film im Kino kostet (3D-Filme, Filme mit Überlänge und Unterschiede zwischen Wochentagen, Tageszeiten und Lade des Kinos mit einberechnet) im Schnitt ca. 10 Euro. Die meisten suchen nach einem Kino in ihrer Nähe im Internet. Oft muss man erst mehrere Kinos vergleichen, um das günstigere zu finden und um festzustellen, ob der gewünschte Film dort überhaupt läuft.
Nach dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden arbeiten deutsche Arbeitnehmer in Voll- und Teilzeit im Durchschnitt 35,5 Stunden und verdienen 3.064 Euro im Monat. dies macht einen durchschnittlichen Stundenlohn von aufgerundet 22 Euro.
Gehen wir davon aus, dass die Kinosuche für geübte Internetnutzer zwischen 10 und 20 Minuten dauert, ergibt sich daraus ein hypothetischer Verlust von 4 bis 7 Euro.
Der Weg zum Kino und zurück kostet mit dem Auto (Benzin für 1,50 Euro, Fahrt von 20km, Verbrauch von 6l/100km) 1,80 Euro. Eine Fahrt dauert im Durchschnitt ca. 15 Minuten, hin und zurück also ca. 30. Eine Bus- oder Bahnfahrt schlägt mit 2-4 Euro, je nach Distanz, pro Weg zu Buche, also 4-8 Euro für Hin- und Rückweg. Eine Fahrt dauert im Durchschnitt 20 Minuten + 10 Minuten zur Haltestelle. Insgesamt also eine Stunde.
Den freien Abend vorausgesetzt ergibt sich daraus ein Zeitaufwand von 40 bis 80 Minuten, verbunden mit Kosten von ca. 16 bis 25 Euro. Pro Film. Und das ohne die Einberechnung von Getränken und Essen. Aber das würde nun wirklich den Rahmen sprengen.
Selbiges gilt für die Ausleihe von Filmen in der örtlichen Videothek. Und selbst Videotheksdienste im Netz machen es den Nutzern nicht unbedingt einfacher: vom Aufwand sind bei solchen Diensten anzumelden abgesehen, ist lange nicht jeder bereit, seine privaten und Kontodaten im Internet preis zu geben.
Stellt man dem einen Zeitaufwand von wenigen Minuten für die Filmsuche und 0 Euro für die Nutzung entgegen, erübrigt sich eine Begründung, wieso sich eine Mehrheit für die Nutzung illegaler Portale entscheiden könnte. Könnte: denn nach wie vor bevorzugen viele Menschen den Gang zum Kino. Denn ein Kino bietet nicht nur eine große Leinwand und viele Mitgucker, es ist vor allem die Möglichkeit, mit auch vielen Freunden auf genügend Raum problemlos und bequem einen Film zu sehen, der den Kinogang so beliebt macht. Und die soziale Komponente ist nicht zu unterschätzen: denn oftmals steht der Kinobesuch in Verbindung mit einem vorherigen oder anschließenden Essen oder Trinken gehen oder anderen gemeinsamen Aktivitäten.

Der Aufwand alleine kann also für die meisten nicht ausschlaggebend sein.

Die ausschlaggebenden Punkte, die meiner Meinung nach zum ersten Besuch einer illegalen Plattform verleitet, sind das "Reinschnuppern" und die "Exklusivität".
Trailer sind zwar schön und gut, aber wer kennt nicht die Enttäuschung, die einen überkommt, wenn man nach einem Kinobesuch feststellt, dass der Trailer ein Zusammenschnitt der besten Szenen im Film war und das Gefühl, umsonst Geld und Zeit investiert zu haben. Hier ist ein Reinschnuppern in den Film durchaus von Vorteil: bei den meisten Filmen entscheidet sich binnen weniger Minuten oder Szenen, ob er gefällt oder nicht.
Auf der anderen Seite bietet eine Internetplattform eine ungemein große Auswahl: Filme, die nur in ausgewählten Kinos oder gar in gar keinen deutschen Kinos laufen , sind hier zu finden. Filme, die die örtliche Videothek nicht führt, ausländische Filme, die in Deutschland überhaupt nicht erhältlich sind bis hin zu Serien, die hier noch nicht laufen und vielleicht niemals laufen werden, Staffeln, die für Deutschland nicht vorgesehen sind, "Extended Versions" oder Filme mit der Bezeichnung "Director's Cut", die man hierzulande nirgends finden würde. Da wäre sicherlich für jeden noch so standhaften Verteidiger der Urheberrechte die ein oder andere Versuchung da.

Und genau hier liegt das große Problem: die schlechte Zugänglichkeit, die Schwierigkeit, ganz bestimmte, nicht übliche Formate, die eben nicht "Mainstream" sind, lassen vielen Filmeliebhabern keine andere Wahl.

Es gibt sicherlich Ausnahmen, dennoch glaube ich, dass viele Menschen eher bereit wären, Filme käuflich zu erwerben, als sie im Internet auf illegalen Plattformen zu konsumieren, wenn der Erwerb leichter wäre. Mit dem Internet haben sich die Gewohnheiten der Menschen stark verändert, es gelten andere Standards, wir sind gewissermaßen verwöhnt vom schnell Zugang zu Daten jeglicher Art.

Dienste und Anbieter wie kino.to werden also immer eine Chance haben, solange die Infrastruktur des Filmerwerbs nicht lukrativer erscheint, als die Nutzung illegaler Dienste. Dies muss keine drastische Senkung der Preise bedeuten, denn wahrscheinlich werden viele die Zahlung eines Entgeltes dem schlechten Gewissen vorziehen.

Dennoch muss hier in erster Linie die Filmindustrie mit neuen Ideen aufwarten und internationaler arbeiten.

Also, liebe Filmindustrie: erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Die Freude über die Sperrung ist eine Ameise gegen die Freude, die ihr an einem fairen Erwerb durch die Zusammenarbeit mit fairen Endverbrauchern erreichen könnt. Schließlich wäscht eine Hand die andere. Und wenn es bei euch damit nicht klappt, dürft ihr euch über wenig Gegenleistung eben nicht wundern.

Soviel dazu,

Toni

7 Kommentare:

  1. Hallo Toni,

    die Idee, den Grund für die Nutzung von kino.to zu suchen, finde ich ganz gut, jedoch sind deine Vergleiche bzw. deine Hochrechnung meist nicht so gelungen, beispielsweise der Vergleich von Internet-Nutzern und quengelnden Kindern...

    AntwortenLöschen
  2. der erste kommentator hat tierisch einen sitzen und kommt wahrscheinlich von der gema...ich finde du hast es auf den punkt gebracht...nur einen zusatz:es sind die unverschämt hohen preise,die einen ebenfalls dazu treiben solche plattformen zu besuchen zb.für eine halbe staffel csi oder star trek 40 oder 50 euro zu verlangen ist eine riesen schweinerei,da mach ich nicht mit und ich gehe jede wette ein das von den 4 millionen kino.to besucher mindestens 2 drittel sich solche preise einfach nicht leisten können...

    AntwortenLöschen
  3. zu 1: Psychologisch ist der Vergleich gar nicht so falsch, auch wenn er thematisch vielleicht nicht unbedingt vergleichbar scheint. Aber danke für den Hinweis!

    zu 2: Ja, da hast Du Recht! Das mit den Serien habe ich nicht bedacht. Ich war selbst nie auf kino.to, habe bei anderen aber schon mal mit drauf geguckt. Es ist vielleicht etwas einseitig nur darüber zu berichten, aber ich denke, meine Intention wird dennoch deutlich.

    AntwortenLöschen
  4. man ey was fürn scheißtext
    kino.to wird einfach nur aus einem einziden grund genutzt: weil die filme kostenlos sind und nicht wegen irgendwelcher bequemlichkeit. Und deine rechnung für den preis eines kinobesuches ist echt mega lächerlich...

    AntwortenLöschen
  5. Das war ein sehr konstruktiver Kommentar. Man merkt, dass Du Dich mit der Materie befasst hast und Deine Ausdrucksweise zeugt von Bildung und Respekt. Scheinbar bestätigst Du die Ausnahme, die ich im Text erwähnt habe.

    AntwortenLöschen
  6. Insgesamt eine schöne Zusammenfassung. :-)
    Ein weiterer, in meinen Augen noch wichtiger unerwähnter Punkt stellen jedoch die nervigen Begleiterscheinungen legalen "Filmgenusses" dar: Langwierige Werbung, grün unterlegte Warnungen den Inhalt nicht zu verbreiten, Filmvorschau für themenfremde Filme etc. bestrafen doch den ehrlichen Kunden.
    Dazu kommen noch diverse Verkaufslügen incl. der Vorschau, welche nicht mit dem Film übereinstimmen.
    Desweiteren bringst du als Motivation für die Nutzung von kino.to nicht auch Protest mit ein gegen eine Filmindustrie, die der Meinung ist, sich als einzige Industrie nicht nach den Wünschen der Kunden richten zu müssen.

    AntwortenLöschen
  7. Das ist ein wirklich guter Punkt! Obwohl ich bei der Vorschau nur bemeckern muss, dass man sie nicht abstellen kann. Kenne einige, die gucken die Vorschauen immer wieder gerne, auch wenn die Filme schon längst draußen sind. Aber dass man so lange auf den Film warten muss ist tatsächlich ein großer Negativpunkt. Und das mit dem Protest: nun gut, ich kanns verstehen, dennoch denke ich, dass das kein legitimer Grund ist, Filme illegal zu vertreiben/gucken.

    AntwortenLöschen